Michael Coney - Brontomek!.doc Read online




  Michael G. Coney

  Brontomek!

  Dieses eBook ist FREEWARE

  und NICHT FÜR DEN VER-

  KAUF bestimmt !

  Scan & K-Lesen: WS64

  Arkadia, ein fruchtbarer erdähnlicher Planet, umkreist von sechs Monden und zu neun Zehnteln mit Meeren bedeckt, wurde bereits vor Jahrzehnten von Menschen besiedelt! Alle 52 Jahre tritt eine Konstellation ein, bei der alle Monde in einer Reihe stehen und eine Springflut auslösen. All dies ist berechenbar, und man hatte Vor-sorge dagegen getroffen. Doch es geschah auch etwas völlig Rätselhaftes: Viele der Siedler versammelten sich auf dem Strand und gingen – willenlos wie Marionetten –

  gemeinsam ins Wasser, um von gierigen Meeresbewohnern, den Haifischen ähnlich, zerfleischt zu werden.

  Die Wissenschaftler finden des Rätsels Lösung: Bei der Hochflut schließen sich winzige Meeresbewohner kurzzeitig zu »Überwesen« zusammen, die eine Quasi-lntelligenz entwickeln und starke Gedankenimpulse aussenden, die mit dem menschlichen Gehirn in Wechselwirkung treten. Sie finden auch Abhilfe, um den

  »Relais-Effekt« zu unterbinden, aber trotzdem wächst bei den Siedlern die Angst, und sie beginnen Arkadia zu verlassen. Die Hetherington-Organisation, die ganze Planeten ankauft und »terraformt«, bietet sich an, Arkadia wieder attraktiv zu machen. Die verbliebenen Bewohner sind einverstanden – bis die riesigen Frachtraumer der Organisation landen und ihre Brontomeks entladen, gewaltige automatische landwirtschaftliche Maschinen, und ihre Kreaturen von Bord gehen, geduldige amorphe Lebewesen, die Menschengestalt angenommen haben. Spä-

  testens da merken selbst die uneinsichtigsten Arkadier, daß sie vom Regen in die Traufe geraten sind.

  HEYNE-BUCH Nr. 06/3953 im Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München Titel der englischen Originalausgabe BRONTOMEK!

  Deutsche Übersetzung von Hans Maeter

  Das Umschlagbild schuf Angus McKie

  Redaktion: Wolfgang Jeschke

  Copyright © 1976 by Michael Coney

  Copyright © 1983 der deutschen Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München Printed in Germany 1983

  Umschlaggestaltung: Atelier Heinrichs & Schütz, München Satz: Schaber, Wels/Österreich Druck und Bindung: Mohndruck, Graphische Betriebe GmbH, Gütersloh ISBN 3-453-30.883-2

  Michael G. Coney wurde 1932 in England geboren und besuchte die King Edward’s School in Birmingham. Er versuchte sich in verschiedenen Berufen, bis er einen der ruhigsten und gesündesten fand – als Feuerwächter der Columbia Forestry Commission in den Wäldern Kanadas.

  Seit 1966 schreibt er Science Fiction. Er ist ein Meister der stimmungsvollen Schilderung fremder Landschaften und bizarrer außerirdischer Lebensformen.

  PROLOG

  Der Strand war ein langer Halbmond aus Sand, der in der Sonne so hell schimmerte, daß ich meine Sonnenbrille wieder aufsetzen mußte. Eine große Anzahl von Menschen stand dort – und alle, ohne Ausnahme, blickten auf die See hinaus. Das Wasser war flach, kleine Wellen rollten von weit her langsam zum Ufer.

  Hinter der Linie der Brecher sah ich Bewegung, schwarze Flo ssen, die hin und her zogen.

  Ein Mädchen stand in der Nähe, ein großes, sonnengebräuntes Mädchen, das so aussah, als ob es hier zu Hause wäre und mir sicher einiges erklären könnte. Ich blickte sie eine Weile an und versuchte, Mut zu sammeln. Sie war hübsch, auf eine sonnengebräunte Art, ihr Haar von der Sonne gebleicht, und ich sah einen weißen Streifen über dem Oberteil ihres Bikinis, dessen durch-sichtiges Material sie so weit heruntergezogen hatte, wie sie es wagte. Meine Füße machten nicht das geringste Geräusch im Sand, also räusperte ich mich, als ich zu ihr trat, doch sie blickte mich noch immer nicht an.

  »Was ist los?« fragte ich. »Ist da draußen jemand in Schwierigkeiten?«

  Sie antwortete nicht. Sie stand reglos, als ob sie auf etwas lauschte. Ich konnte ihrem Gesichtsausdruck nichts entnehmen.

  Ich wandte mich um und blickte zur Stadt zurück. Häuser starrten mich mit leeren Fenstern an; eine Handvoll Menschen suchten sich ihren Weg zwischen geparkten Hovercars, um sich der anschwellenden Menge am Strand anzuschließen. Etwas nä-

  her, wo ein langer, schmaler Sandstein aus dem Boden wuchs, der sich fast bis zum Ufer erstreckte, stand ein Mann und streckte beide Arme in die Luft. Er sagte irgend etwas, ich konnte die Worte nicht verstehen, kannte jedoch den beschwörenden Tonfall, der von Wanderpredigern und Hausierern mit Quacksalber-medizin verwandt wird.

  Ich hatte mich noch nie so allein gefühlt…

  Zwei Stunden früher hatte ich versucht, aus der Stadt zu gelangen. Ich war die Straße nach Premier City entlanggefahren

  und nach einer Weile durch eine Straßensperre aufgehalten worden.

  Ein uniformierter Soldat hatte den Kopf durch das offene Fenster meines gemieteten Hovercars gesteckt und gesagt: »Sieh zu, daß du so schnell wie möglich wieder dahin zurückfährst, wo du hergekommen bist.«

  »Was ist denn los?« fragte ich. »In Oldhaven konnte ich von keinem Menschen eine klare Antwort bekommen.«

  »Wenn du es nicht weißt, habe ich erst recht keine Ahnung.«

  In der Nähe lehnten mehrere Soldaten an ihrem Fahrzeug und grinsten. Im Inneren des Hovercars wurde es heiß. Schweiß brach irgendwo hinter meinen Ohren aus und rann unter mein Hemd. Ich wollte so rasch wie möglich weiterfahren, doch ich wollte auch reden. Und ich wollte nicht nach Oldhaven zurück, wo die Zombies waren.

  »Hört mal, warum könnt ihr mich nicht durchlassen? Ich bin erst vor ein paar Stunden hier durchgekommen, und da war noch keine Sperre.«

  Ein zweiter Soldat schlenderte heran und mahlte auf einem Kaugummi herum. Er stützte sich auf das Wagendach, steckte den Kopf durchs Fenster und sagte mit eklig starkem Pfeffer-minzaroma: »Niemand aus Oldhaven darf hier mehr durch – das ist unser Befehl. Wenn du die Straße von Premier City entlanggefahren bist, mußt du doch die Flüchtlingslager gesehen haben, Jesus! Sie haben nichts zu essen, keine Toiletten, und nicht genug Wasser. Bleib in Oldhaven, bis diese Sache vorbei ist, okay?« Seine Stimme war nicht unfreundlich.

  »Und wie lange wird das dauern?«

  »Das kann ich auch nur raten.«

  »Mein Gott, ich bin erst heute auf diesem gottverdammten Planeten gelandet.«

  »Hast du dein Immunol?«

  Ich fingerte die Flasche mit den kleinen, weißen Tabletten heraus. »Sie haben mich in Premier City damit versorgt.«

  »Na, dann kann dir ja nichts passieren. Wenn du in Oldhaven keine Kämpfe gesehen hast, bedeutet es, daß alles in Ordnung ist. Vielleicht ist die ganze Sache schon vorbei. Ich weiß es nicht.

  Und jetzt tu mir den Gefallen und fahr zurück. Sonst müßte ich dich leider ein wenig ansengen«, setzte er bedauernd hinzu und fingerte sein Lasergewehr.

  Ich nahm eine Pille und startete den Motor.

  »Man hätte dir in Premier City Bescheid sagen sollen«, sagte er. »Aber vielleicht hast du nicht gefragt. Du bist auf dem Raumhafen gelandet, hast dir einen Wagen geliehen und bist einfach losgefahren, wie? Schade. Schade, daß niemand es für nötig gehalten hat, dir etwas von dem Problem zu berichten, das wir gerade auf Arkadia haben. Wenn du mich fragst«, fuhr er fort, »glaube ich, daß die Leute in Premier City sich schämen.

  Sie schämen sich, daß etwas passiert ist, mit dem sie nicht fertig werden. Pech gehabt. Also, wie gesagt, verschwinde, Mann.«

  Lächelnd schob er den Sicherungsflügel seiner Waffe nach vorn. Ich hörte nur ein leises Summen, als ein Blitz unsichtbaren, heißen Lichts an meiner Nase vorbei und aus dem anderen Fenster zuckte.

  Also fuhr ich nach Oldhaven zurück.

  Ich überprüfte noch einmal die Adresse auf dem Interspace Telex, das ich von der Erde mitgebracht hatte, und stellte fest, daß ich beim erstenmal recht gehabt hatte.
Also fuhr ich wieder nach Nr. 1678 Second Avenue, parkte das Fahrzeug und klingelte –

  dann hämmerte ich gegen die Tür. Ich machte genug Krach, um die ganze Straße aus der Siesta zu wecken, doch es meldete sich niemand. Beckenbauer war nicht zu Hause. Mein einziger Kontakt auf diesem Planeten war nicht erreichbar.

  Dann hörte ich hinter mir ein Geräusch, ein konzentriertes Schlurfen, wie von vielen Füßen. Ich fuhr herum, und mein Herz raste. In der Stille hatte der Laut mich erschreckt. Eine Reihe von Tieren zog die Straße entlang, auf den Strand zu. Sie hatten Ähnlichkeit mit den Kühen der Erde: eckig, mit hervorstehenden Knochen, doch die weißen Clownsgesichter wirkten eher wie die von Ziegen. Sie torkelten von einer Seite zur anderen, während

  sie mit pendelnden Eutern die Straße entlanggingen. Das Leittier blieb stehend, als es mich entdeckte, und die anderen schlossen dicht auf. Ihre Ordnung kam für einen Augenblick durcheinander, als sie mich unsicher anblickten.

  Ich wurde etwas nervös angesichts ihrer Überzahl. Ich erkannte die Tiere nach Bildern, die ich gesehen hatte, als Arkühe, doch war ich mir nicht sicher über ihr Temperament. Sie sahen zwar recht harmlos aus – aber ich hatte das unheimliche Gefühl, als ob sie von der Stadt Besitz ergriffen hätten. Schließlich schienen sie zu tun, was sie wollten. Es war kein Mensch da, der sie in ihre Ställe zurücktreiben konnte.

  Dann begannen sie, ohne mich aus den Augen zu lassen, sich an mir vorbeizudrücken. Sie hatten genausoviel Angst wie ich.

  Ich stieg wieder in den Wagen und fuhr zum Strand zurück; wohin hätte ich sonst gehen sollen. Ich sah keine weiteren Tiere auf den verlassenen Straßen, und auch keine Menschen.

  Inzwischen war die Menge am Strand zu einer riesigen Men-schenmasse angewachsen. Die meisten standen dicht beim Wasser, aber andere hatten sich auf den Sand gesetzt und blickten zwischen den Beinen der Stehenden hindurch auf die See hinaus.

  Ich entdeckte ein kleines Mädchen in meiner Nähe; sie war etwa neun Jahre alt und schien wacher zu sein als die meisten anderen hier. Sie saß allein und schaufelte mit den Händen Sand zu ordentlichen kleinen Haufen.

  Ich kniete mich neben sie. »Wie heißt du?« fragte ich.

  Sie blickte mich an. Ihre Augen waren fast ohne Ausdruck.

  Ich erinnerte mich an etwas. Ich zog die kleine Flasche aus meiner Tasche und bot ihr eine Immunol-Tablette an.

  Sie schüttelte energisch den Kopf.

  »Nur eine«, drängte ich. »Oder sag mir deinen Namen!« setzte ich hinzu, um ihr eine Alternative zu geben.

  »Wendy.«

  »Wo sind deine Eltern?«

  Sie deutete den Strand entlang.

  »Warum sind alle Menschen hier, Wendy?«

  »Deswegen.«

  »Wegen was?«

  »Das Geben.«

  »Was?«

  Plötzlich sah mir das Mädchen direkt in die Augen. »Laß mich in Ruhe, du dummer Bastard! Du bist keiner von uns. Du darfst nicht dabeisein.« Ihre kleinen Finger gruben enge, tiefe Zick-zacklinien in den Sand und zerstörten die Haufen. »Verschwinde aus Oldhaven! Geh zurück zur Erde, wo du hingehörst! Baue deine Boote irgendwo anders! Wir brauchen dich hier nicht, Kevin Moncrieff!«

  Eine der Nebenwirkungen des Immunols ist eine euphorische Taubheit der Sinne. Ich lächelte Wendy an und stand auf, und unterdrückte die Furcht, die sich durch die Wirkung der Droge ihren Weg nach oben bahnen wollte.

  Eine Reihe von Arkühen trottete zwischen den Menschen durch den Sand, in dem ihre breiten Hufe tiefe Abdrücke hinterließen.

  Sie erreichten das flache Wasser und trotteten ohne Pause weiter, als ihre Hufe einsanken und Wasser ihre schlanken Beine umspülte. Das Leittier blickte mich an, als es an mir vorbeiging, und ein Ausdruck des Wiedererkennens trat in die ziegenartigen Augen.

  »Woher kennst du meinen Namen?« fragte ich Wendy.

  »Du kennst ihn – also kenne auch ich ihn. Und jetzt geh zu deinem Wagen zurück!«

  Ich machte ein paar Schritte rückwärts, als sie mich anstarrte.

  Die Immunol-Tabletten waren noch immer in meiner Hand; ich fummelte nach einer, so wie ein Mann in einem kritischen Augenblick nach einer Zigarette fummeln mag. Doch ich nahm keine. Irgendwie schien es, als ob meine Hand die kleine, weiße Pille nicht zum Munde führen wollte. Ich verschloß die Flasche und steckte sie in die Tasche zurück.

  Wendy lächelte mich jetzt an; mit dem offenen Lächeln eines Kindes, hinter dem jedoch etwas anderes lag. »Vielleicht solltest du doch bleiben, Kev«, sagte sie.

  Und ich dachte: das ist vielleicht eine gute Idee… Vielleicht war dies gar kein so schlechter Ort. Die Sonne schien zwar ziemlich warm, doch wehte eine angenehm kühle Brise von der See her.

  Menschen wateten in den kleinen Uferwellen; etwas weiter entfernt, auf einer oberhalb des Strandes gelegenen Wiese, sah ich Arkühe grasen. Ich fragte mich, warum sie nicht hier unten bei uns waren. Die anderen Arkühe waren jetzt ein gutes Stück in der See, bis zum Hals im Wasser; wahrscheinlich schwammen sie. Ich sah, wie ihre Köpfe hin und herfuhren, und daß kleine Fontänen aufspritzten, als sie zu den Fischen hinabsanken, sich dem Ozean Arkadias gaben…

  Wendy war aufgestanden und umfaßte meine Hand mit ihren kleinen, sanften Fingern.

  »Komm, Kev!« sagte sie.

  Ich zögerte.

  »Es ist Zeit«, sagte sie. »Wenn du jetzt nicht kommst, wirst du zurückgelassen.«

  Sie hatte recht. Alle Menschen waren jetzt im Wasser, schritten stetig voran, die Augen auf den Horizont gerichtet. Alle. Es war unrecht von mir, zurückbleiben zu wollen. Ich ließ mich von der Menge mitziehen, und das Wasser füllte meine Schuhe, kroch eisig die Waden hinauf.

  Ein Zelot rechts von mir schrie irgendein Gebet; ein Teil meines Bewußtseins wünschte, er würde den Mund halten. Ich brauchte Zeit zum Denken. Ich schien mich hier in etwas hineinziehen zu lassen, das ich nicht verstand.

  »Du brauchst es auch nicht zu verstehen«, sagte Wendy, die durch die kleinen Wellen hüpfte und an meiner Hand zerrte, »du brauchst nur zu geben! Gib!«

  Andere nahmen den Ruf auf. »Gib… gib… gib!« Es wurde zu einer Beschwörungsformel, monoton und hypnotisch, im Rhyth-

  mus mit dem Pulsieren der Wellen, die jetzt meinen Unterleib erreichten, herabfielen, wieder höher stiegen, gegen meinen Brustkorb plätscherten.

  Weiter voraus ertönte ein Schrei.

  Eine Frau schlug wild mit den Armen um sich, wirbelte dunkel-roten Schaum auf, während sie gegen ein schwarzes Ding an-kämpfte, das sich an ihrer rechten Brust festgebissen hatte. Ein Mann watete auf sie zu – und versank um sich schlagend im Wasser.

  »Was, zum Teufel, geht hier vor?« schrie jemand. »Was tun wir überhaupt hier?« Ein untersetzter Mann in einer dunklen, durchnäßten Jacke wandte sich mir zu, die Augen weit aufgerissen, das Gesicht vor Angst verzerrt. »Mein Gott!« schrie er und schlug das Wasser mit den Händen, um rascher vorwärtszu-kommen. Er taumelte und blieb stehen, und ein Ausdruck na-menlosen Entsetzens trat auf sein Gesicht, als er mit seinen Fü-

  ßen zerrte und trat, um sie von etwas zu befreien, das sie festhielt. Das Wasser um ihn herum färbte sich rot, und er schrie unaufhörlich in einer so hohen Tonlage, daß es fast wie Pfeifen klang, während er mit hocherhobenen Armen umherhüpfte und um sich stieß, wie ein Mann, der einem springenden Hund auszuweichen versucht.

  Wendy hörte auf mich voranzuziehen und begann zu weinen.

  Überall um uns herum brachen sichelförmige Flossen durch die Wasseroberfläche, und Menschen versanken, schreiend und um sich schlagend. Ich lief mit schwerfälligen, taumeligen Schritten, während ich versuchte, aus dem Wasser zu kommen und den Strand zu erreichen. Einmal versank mein Fuß in einem Loch, und ich stürzte, und ich schwöre, daß ich unter Wasser geschrien habe, bevor ich wieder auf den Beinen war und mich weiter-kämpfte, bis ich endlich trockenen Sand unter den Füßen spürte und zusammenbrach.

  Es dauerte eine lange Zeit, bevor ich den Kopf heben und über meine Schulter auf das Meer zurückblicken konnte. Es war jetzt wieder ruhig dort…

  Eines Abends saß ich mit einem Mädchen auf der Haf
enmauer; in dem Durcheinander und dem Zusammenbruch der Ordnung in der Sub-Kolonie gab es viele solche Zufallsbeziehungen, bevor die Menschen wieder in ihr normales Leben zurückgefunden hatten.

  »Seit fünfzig Jahren haben sie gewußt, daß dies geschehen wird«, sagte sie, »aber niemand hat irgendwelche Vorkehrungen getroffen. Diese Bastarde…« Alle sechs Monde Arkadias standen am Himmel, und die Nacht war fast so hell wie der Tag, als wir eine formlose Gestalt mit dem Gesicht nach unten auf dem Wasser treiben sahen. Viele der Wohneinheiten hinter uns waren ausgebrannte Ruinen; der scharfe Geruch erloschener Brände mischte sich mit dem Gestank des Todes.

  Der Hafen war klein, kompakt und rechteckig, mit einer schmalen Zufahrt. Leuchtende Linien bedeckten das Wasser an einigen Stellen entlang den Hafenmauern, wie die Schleimspuren von Schnecken bei Sonnenaufgang. Billionen von Planktontierchen riefen dieses Leuchten hervor, eine unzählbare Masse winziger Lebewesen, denen die Gehirne das Leben geschenkt hatten, und die nun ihren Weg aus dem Hafen ins offene Meer suchten. Das Mädchen blickte auf die leuchtenden Bahnen, während sie sich allmählich von den Mauern lösten und an der Hafeneinfahrt konzentrierten.

  »Die Gehirne sind noch immer da«, sagte sie. »Spürst du sie?«

  »Jetzt nicht.« Ich nahm eine Immunol-Tablette und bot auch ihr eine an.

  »Die Schwarzfische haben sie beschützt, während sie geba-ren«, sagte sie langsam und ignorierte die kleine Flasche mit den Tabletten, »und zum Dank dafür haben sie den Schwarzfischen Futter gegeben. Ein fairer Handel, soweit es sie betraf. Aber warum haben sie auch uns mit hineingezogen? Wir wollten ihnen doch nichts Böses.«

  »Vielleicht haben sie das nicht gewußt.«

  Ich blickte auf eine Lichtbahn, die wie eine in unheimlichem Licht glühende Schneise wirkte. Dann schob sich eine Wolke vor

  den Mond Daleth, und das Wasser wallte in konzentrischen Ringen auf, und das Ding dümpelte dort, und glühte im matten Licht…

  Es trieb weniger als zehn Meter von uns entfernt, eine glühende Kugel, kaum größer als ein menschlicher Kopf. Wir starrten es an, fasziniert, entsetzt, angewidert; ein Gestank von faulendem Fisch wehte herüber zu uns. Das Ding drehte sich langsam um die eigene Achse, dann schnellte es sich in die Luft und landete wieder im aufspritzenden Wasser – drei Meter näher.